Inspirationen
Wache Stille
Wahrnehmen ohne zu denken, zu erklären, zu urteilen
Wach und still – das scheint zuerst ein Widerspruch zu sein. Doch Yoga versucht genau diesen geistigen Zustand zu erreichen: eine wache Stille. Die Gedanken kommen zu Ruhe, zugleich ist unsere Wahrnehmung höchst präsent und aufmerksam.
Im Alltag kennen wir beide Zustände, doch meist getrennt voneinander. Sind wir mitten in einer fordernden oder spannenden Aufgabe, in einer unerwarteten oder extremen Situation, dann sind wir hellwach. Doch zugleich ist alles in uns angespannt und unruhig. Die Gedanken jagen einander. Im Gegensatz dazu, am Abend auf der Couch, vielleicht mit einem guten Glas Wein, entspannen wir und werden ruhig, aber auch müde und träg.
Wahrnehmen ohne zu denken, zu erklären, zu unterteilen
In der Yoga-Praxis versuchen wir, die beiden Apekte – Wachheit und Stille – miteinander zu verbinden. Durch Körper- und Atemübungen und Meditation versuchen wir einerseits die Gedanken in unserem Kopf zu beruhigen. Gleichzeitig stärken wir die Aufmerksamkeit, das achtsame Wahrnehmen des Jetzt und Hier, des gegenwärtigen Augenblicks. Reines Wahrnehmen, ohne zu denken, ohne das Wahrgenommene in Worte zu fassen, ohne über das Wahrgenommene zu urteilen.
Das ist leider meist schwieriger als es sich anhört. Am Anfang meiner Yoga-Praxis war es erstmal fast unmöglich, die Gedanken in der Endentspannung oder in der Meditation zur Ruhe zu bringen. Die Gedanken sprangen eher wie Affen durch meinen Kopf. Als es mir dann endlich gelang, meinen Geist etwas stiller werden zu lassen, wurde ich meist schläfrig. In der Meditation rette mich nur der nach unten fallende Kopf vor dem Einschlafen. In der Endentspannung dämmert ich oft kurz weg. Mit der Zeit gelang es mir aber immer besser, eine wache und stille Präsenz in mir zu entwickeln. Das Hirn lernt, trotz Gedankenstille wach und aufmerksam zu bleiben.
Yoga – ein Forschungslabor für neue Erfahrungen
Die Yogapraxis auf der Matte ist für mich wie ein Forschungslabor. Ich mache neue Erfahrungen, lerne neue Ebenen in mir kennen, entdecke und entfalte meinen Geist und mein Bewusstsein. Ich gehe auf eine Forschungsreise zu mir selbst. Und wenn ich auf der Matte etwas erkannt oder gelernt habe, versuche ich es auch in der Welt draussen zu leben – mit einem wachen und stillen Geist den Herausforderungen des Lebens zu begegnen.
Bärbel Zierl, 14. März 2021

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